Interview DSAG 10.09.2019, 11:06 Uhr

«SAP muss bei S/4Hana-Migration mehr unterstützen»

Unternehmen befassen sich derzeit verstärkt mit der Migration auf S/4Hana. DSAG-Fachvorstand Ralf Peters fordert mehr Unterstützung des Herstellers bei der ERP-Umstellung.
Ralf Peters von der DSAG nennt Gründe für die zögerliche Migration auf S/4Hana
(Quelle: DSAG)
Die Unternehmen in der Schweiz haben mittlerweile Pläne geschmiedet für die Umstellung ihrer SAP-Software auf S/4Hana. Dies ist ein Ergebnis des «Investitionsreports» der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG). So haben sich 67 Prozent der Schweizer Firmen bereits für die neue ERP-Lösung entschieden. Allerdings sind die Projekte noch fast nirgends abgeschlossen. Nur drei Prozent der Betriebe arbeiten bereits mit dem neuen System. Im Vorfeld der DSAG-Jahrestagung Mitte September in Nürnberg sprach Computerworld mit Ralf Peters, Fachvorstand Digitalisierung, Finance & Value Chain bei der DSAG, über Gründe für die langsame Adaptation. Im Interview erklärt er ausserdem, welche Hürden bei der Einführung von S/4Hana genommen werden müssen.
Computerworld: Warum sind erst so wenige Schweizer Firmen auf S/4Hana migriert?
Ralf Peters: Die Gründe dafür, dass die Zahl der erfolgreichen S/4Hana-Einführungsprojekte derzeit noch überschaubar ist, sind vielfältig. Zum einen konkurriert S/4Hana mit der Automatisierung und Digitalisierung von Prozessen in den Unternehmen. Mit Automatisierung lassen sich kurzfristig Kosten sparen. Mit Projekten zur Digitalisierung wollen Unternehmen ihren Umsatz steigern. Dementsprechend ist nachvollziehbar, dass viele Organisationen ihre internen Ressourcen erst einmal für diese Projekte einsetzen.
Computerworld: Sehen Sie weitere Bremsen für die Migrationsprojekte?
Peters: Ja, die sehe ich. Sicherlich lassen die noch spärlich vorhandenen Erfahrungen auf dem Beratermarkt mit S/4Hana-Einführungen die Unternehmen zögern. In der Vergangenheit, bei R/3-Projekten oder der Einführung von ERP ECC 6.0, hatten Unternehmen Ressourcen im eigenen Haus, die das System kannten und dementsprechend gute Sparringspartner zu den externen Beratern waren. Das ist bei S/4Hana schwieriger. Einerseits sind die internen Ressourcen inzwischen oftmals stärker in anderen Projekten gebunden. Andererseits gibt es bisher auch auf Beraterseite nur wenig Erfahrung mit S/4Hana.
Computerworld: Wie kommt das?
Peters: Heute gibt es viele Berater, die schon sehr lange im R/3-Bereich unterwegs sind, und dieses Wissen ist zweifellos sehr nützlich. Doch die Frage, die häufig unbeantwortet bleibt, lautet: Wie kann ich die Neuerungen, die S/4Hana mit sich bringt, gewinnbringend in meinem Unternehmen einsetzen? Und wenn diese Frage dann endlich beantwortet ist, verzögert sich der Entscheid für die Umstellung oft zusätzlich, weil die Beraterhonorare aufgrund des sehr spitzen Marktes teils sehr hoch sind. Das kann dazu führen, dass Unternehmen mit der Einführung noch warten. Dieser Kostenaspekt spielt natürlich besonders im KMU-Segment eine grosse Rolle. Kleinere Unternehmen müssen genau abwägen, ob sie das Budget nicht vielleicht lieber erst einmal in ein Digitalisierungsprojekt stecken, statt in die S/4Hana-Einführung.

Die Rolle von SAP

Computerworld: Müsste SAP als Hersteller mehr tun?
Peters: Bestimmte Faktoren, welche die Unternehmen an der Einführung von S/4Hana hindern, sind marktbedingt. Hier kann ein Software-Hersteller wie SAP nur wenig tun. Doch insgesamt informiert SAP nicht gut genug. Es gibt viele Dinge im S/4Hana-Umfeld, die Unternehmen unterstützen könnten – gerade auch bei KMU – doch der Informationsfluss ist noch nicht optimal.
Deshalb fordern wir als Anwendervereinigung von SAP mehr tragfähige Unterstützung bei der Umstellung auf S/4Hana. Die S/4Hana-Welt ist komplex und jeder Designfehler kostet Geld. SAP muss die Unternehmen unterstützen hinsichtlich der Planung und Realisierung zukunftsfähiger Applikationen. Unternehmen brauchen eine Perspektive und müssen wissen, wohin die Reise in den nächsten Jahren konkret geht. Nur dann können sie valide Entscheidungen treffen.
Computerworld: Irgendwann muss der Entscheid getroffen werden. Wie ist dann das Vorgehen?
Peters: Grundsätzlich gilt: Je komplexer die IT-Landschaft, umso mehr muss ich bei einer Umstellung auf S/4Hana beachten. So setzt beispielsweise die Migration eine hohe Stammdatenqualität voraus und kann hinsichtlich der Analyse der Eigenentwicklungen verschiedene Fallstricke bereithalten.
Insbesondere ein Komplettumzug von einem System in ein anderes kann vielschichtig sein. Das merkt man aber häufig erst, wenn man sich mit den Details beschäftigt – bis hin zum Housekeeping. Und auch das führt oft zu einer Verzögerung bei der Einführung. Housekeeping-Projekte sind unangenehm und können viel Zeit verschlingen. Wer den Implementierungsaufwand während der Systemumstellung minimieren möchte, sollte einige Themen bereits vor der eigentlichen S/4Hana-Einführung behandelt haben.
Computerworld: Was raten Sie den Unternehmen konkret?
Peters: Unternehmen sollten sich vor der Einführung zunächst einige Fragen beantworten: Welchen Zielzustand strebe ich an und welchen Platz soll S/4Hana in meiner Systemlandschaft einnehmen? Und sollen die bestehenden Prozesse für die SAP-Welt optimiert werden?
Grundsätzlich muss natürlich auch geklärt werden, welcher Ansatz der richtige für das Unternehmen ist. Ein Brownfield-Ansatz eignet sich insbesondere dann, wenn ein Unternehmen bereits SAP einsetzt und viele Konfigurationen dem Standard entsprechen. Ein Greenfield-Ansatz hingegen ist vor allem dann geeignet, wenn ein Unternehmen noch kein SAP im Einsatz hat und der Wille zum Umdenken da ist.
Darüber hinaus muss eine Organisation das für sich passende Betriebsmodell wählen. Hier gilt es abzuwägen, ob dem eigenen Rechenzentrum, Outsourcing oder S/4Hana als Software-as-a-Service-Lösung der Vorzug zu geben ist.

Die Rolle der DSAG

Computerworld: Allerdings existiert meistens ja nicht ausschliesslich das ERP….
Peters: Stimmt. Die Unternehmen dürfen keinesfalls ihre Prozesse und Drittapplikationen aus dem Fokus verlieren. Sie müssen vor dem Wechsel aufgeräumt sein und Schnittstellen sowie Umsysteme sollten vorab reduziert werden. Weiter sollte ein Konzept für historische Daten vorhanden sein. Schlussendlich dürfen die Anwendertypen nicht vergessen werden. Wer wird das System nutzen und wie verteilt sich die Nutzung über die Anwender? Erst nach Klärung dieser Sachverhalte sollten Unternehmen einen Zeitrahmen für das Projekt festlegen und entscheiden, ob sie externe Unterstützung benötigen.
Computerworld: Wie kann die DSAG beim Systemwechsel unterstützen?
Peters: Wie bei jedem grossen IT-Projekt kann auch hier ein Erfahrungsaustausch mit anderen Unternehmen sinnvoll sein. Einen solchen ermöglicht die DSAG beispielsweise im Arbeitskreis S/4Hana. Hier beschäftigten sich rund 2100 Mitglieder mit offenen Fragen zur S/4Hana-Einführung und der generellen Roadmap. Das Gremium diskutiert Anforderungen an SAP und adressiert diese über die SAP-eigenen Einflussnahme-Programme. Zudem tauschen sich die Mitglieder untereinander aus über Innovationspotenziale in einzelnen Bereichen wie Finance, Supply Chain und Logistik.



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