Digitale Architektur
13.10.2025, 08:45 Uhr
Resilienz heisst Wandel meistern
Vom Emmental nach Kalifornien: Hannes Scheidegger erklärt, warum Resilienz zur Schlüsselkompetenz wird und wie Schweizer Unternehmen den Wandel erfolgreich gestalten können.

Hannes Scheidegger: «Es war mir stets ein Anliegen, Theoretisches mit Praktischem zu verbinden.»
(Quelle: zVg)
Resilienz ist für Hannes Scheidegger weit mehr als ein Schlagwort. Der Info-Tech-Manager zeigt im Interview mit der Computerworld, wie Unternehmen mit neuer Führungskultur, klaren Prioritäten und flexiblen IT-Architekturen den ständigen Wandel meistern und ihre Zukunftsfähigkeit sichern können.
Pascal Sieber: Herr Scheidegger, Sie nehmen bei Info-Tech eine entscheidende Rolle in der Unternehmensentwicklung ein. Wie kam es dazu?
Hannes Scheidegger: Ich bin im Emmental aufgewachsen, wo ich meine Freizeit meist auf dem Bauernhof meines Nachbars verbrachte. Dabei lernte ich mehr für das Leben als in der Schule, gerade zum Thema Resilienz und ressourcenorientiertes Denken. Dort wurde nämlich in mir eine Neugier und Begeisterungsfähigkeit geweckt, die sich wie ein roter Faden durch mein Leben gezogen hat. Das Gymnasium besuchte ich in Burgdorf, was mir anfangs wie das Tor zur Welt vorkam. Dank Familie und Freunden, die mich stets förderten, brachten mich Reisen schon während der Gymnasialzeit nach Kalifornien. Da entstand der Traum, einmal dort zu leben und zu arbeiten. Mein Studium verbrachte ich an der Universität Lausanne, wo ich Kunstgeschichte und Wirtschaft studierte. Bereits während des Studiums machte ich ein Praktikum bei der Stiftung Pro Patria, denn es war mir stets ein Anliegen, Theoretisches mit Praktischem zu verbinden.
Sieber: Was hat Sie bewogen, die Schweiz zu verlassen und in die USA zu gehen?
Scheidegger: Nach dem Studium führte ich während sechs Jahren mein eigenes Büro für Kultur, während ich zusätzlich verschiedene Teilzeitjobs im Kulturbereich innehatte. Mit 30 wagte ich dann – verheiratet und mit zwei Töchtern – den Schritt in die USA: An der University of California in Davis absolvierte ich das MBA. Nach dem Studium begann ich eine steile Laufbahn als Betriebsberater bei Gartner, wo ich in 14 Jahren zum Managing Partner und Leiter des IT-Beratungswesens für den öffentlichen Sektor USA West aufstieg. Ende 2020 entschied ich mich zu einem weiteren – zugegebenermassen etwas gewagten – Schritt: Ich verliess meinen komfortablen Posten bei Gartner und wechselte zur damals eher unbekannten Firma Info-Tech Research Group, wo ich die Marktleitung für den Public Sector USA West übernahm. Bei Info-Tech kann ich meine Erfahrung einbringen. Mit dieser rasant wachsenden, globalen Firma sind nämlich äusserst interessante und herausfordernde Aufgaben verbunden. Für mich am spannendsten ist das Aufbauen von hochleistungsfähigen, lokalen Teams. Das fordert strategisches Denken, Kenntnis der lokalen Marktverhältnisse, schnelles Herstellen von Netzwerken, etwas Risikobereitschaft und einen starken Erfolgswillen. Es ist erstaunlich, wie man in kurzer Zeit mit wenig Ressourcen und viel Willen etwas Tolles aufbauen kann. Ich habe das mehrfach in verschiedenen Regionen der USA und auch global gemacht. So war ich kürzlich in Wellington, der Hauptstadt von Neuseeland, und traf mich mit potenziellen Kunden. Nach einer Handvoll Gesprächen war mir klar, mit welchem Ansatz Info-Tech in Neuseeland erfolgreich sein kann: Ob in Canberra, Ottawa, Wellington oder Bern: Regierungssitze haben ihre Ähnlichkeiten.

Quelle: Shutterstock/ ArtHead
Sieber: Gehen wir auf die Frage der Resilienz ein. Welche Erkenntnisse aus Ihrer Forschung geht auf diese Frage ein?
Scheidegger: Unsere Forschung zeigt, dass Resilienz zuerst darauf beruht zu erkennen, was man als Führungskraft beeinflussen und ändern kann und was man als (oft neue) Realität akzeptieren muss. Je schneller man das erkennt und einordnen kann, desto schneller kann man sich als Leader und Organisation anpassen. Das heisst übrigens nicht, dass diese neue Realität eine angenehme oder gar eine sichere, voraussehbare ist. Ganz im Gegenteil, in Zeiten von Umbrüchen, wie wir sie zurzeit erleben, ist nur eines sicher: nämlich, dass Veränderungen immer schneller und tiefgreifender passieren und es nicht klar voraussehbar ist wo, wann oder wie die rasante Entwicklung endet. Die aktuelle Lage bietet die Chance, die wir als «IT’s Moment» bezeichnen – und wir haben ein eigenes Forschungszentrum zu diesem Thema für CIOs und IT-Führungskräfte eingerichtet. Rasch aufkommende Technologien, neue Anforderungen und verschiedene Unsicherheiten schaffen eine Startrampe für Resilienz und Innovation.
“Es ist erstaunlich, wie man in kurzer Zeit mit wenig Ressourcen und viel Willen etwas Tolles aufbauen kann.„
Hannes Scheidegger
Hat man sich also erst einmal mit der neuen Realität abgefunden, kann man sich auf jenes konzentrieren, das man kontrollieren und beeinflussen kann. Das wiederum fördert das individuelle und kollektive Selbstbewusstsein. Aus unserer Forschung und aus der Praxis zeigt sich: Resilienz ist kein fixer Zustand, sondern eine fortlaufend zu erneuernde Fähigkeit, die durch modulare IT-Architekturen, adaptive Führung und Vertrauenskulturen unterstützt wird. Organisationen, die diese Praktiken systematisch verankern, können Reaktionszeiten verkürzen, Risiken minimieren und Disruptionen in Chancen verwandeln.
Sieber: Können Sie das an einem Beispiel in der Technologie beschreiben?
Scheidegger: Wir befinden uns gerade mitten in einem der tiefgreifendsten Umbrüche seit Mitte der 1990er-Jahre, als das Internet aufkam. Solche Umbrüche führen zu enormer – ja oft halsbrecherischer – Kreativität und gigantischen Investitionen. Die überhöhten Erwartungen und Hoffnungen werden dann oft enttäuscht und es dauert einige Jahre, bis sich eine neue Technologie oder deren Anwendungen produktiv und rentabel durchsetzen. Dabei werden auch längst nicht alle schwarzmalerischen Szenarien wahr. So gibt es beispielsweise immer noch Zeitungen und Kinos. In wenigen Jahren wird KI überall präsent sein, und das oft in unsichtbarer und äusserst hilfreicher Weise. Was wir als Individuen und Organisationen schnell lernen müssen, ist wo wir wertvermehrende Anwendungen finden, wie sensible Daten zu schützen sind und wo wir als Menschen weiterhin eine letztinstanzliche und autoritäre Funktion und damit Aufgabe haben.
Sieber: Technologische Umbrüche, wir sprechen auch von Disruption, sind in diesen Dekaden an der Tagesordnung. Haben «normale» Schweizer Unternehmen eine Chance noch im «driver seat» zu bleiben und den Wandel mitzugestalten?
Scheidegger: In den meisten Fällen kann die Wertschöpfung einer Firma – sei es Dienstleistung oder ein Produkt – nicht einfach künstlich generiert werden. KI hat aber viele Anwendungen, die arbeitsintensive Prozesse in Planung, Logistik oder Qualitätskontrolle beschleunigen und mit grösserer Verlässlichkeit ausführen können. Wenn wir mit Organisationen arbeiten, stellt sich auch oft heraus, dass viele noch gar nicht «KI bereit» sind. So kann beispielsweise nicht auf wichtige Daten zugegriffen werden, weil diese in alten Systemen oder in schlechter Qualität vorliegen oder nicht verknüpfbar sind. Oft lässt die Betriebskultur dynamische Prozesse wie «rapid prototyping» nicht zu. Unsere IT-Playbooks – ein Ökosystem von Ressourcen, das verschiedene IT-Bereiche umfasst – sind darauf ausgerichtet, in einer ersten Phase Klarheit über die Unternehmensziele einer Organisation zu verschaffen, dann die technologischen Fähigkeiten zu beurteilen und festzustellen, wo die wunden Punkte sind. Dazu haben wir strukturierte Tools and Frameworks, die uns innert kürzester Zeit wichtige Informationen liefern. In einer zweiten Phase erstellen wir dann einen kundenspezifischen Aktionsplan, welcher in erster Priorität jene IT-Bereiche mit der höchsten Business-Wertschöpfung abdeckt. In der dritten Phase – und das ist ganz klar unser Wettbewerbsvorteil – helfen wir dann bei der Umsetzung dank klar definierten KPIs.
“Wir befinden uns gerade mitten in einem der tiefgreifendsten Umbrüche seit Mitte der 1990er-Jahre, als das Internet aufkam.„
Hannes Scheidegger
Sieber: Was sind neue Führungsmodelle, die wirklich funktionieren und warum braucht es diese gerade jetzt?
Scheidegger: Viele Organisationen müssen ihre Strukturen radikal umdenken. Technologie – und speziell KI – macht sich in jedem Bereich bereit, ob in der Produktion, im Finanzwesen oder in der HR-Abteilung. Wir brauchen dynamischere Führungsmodelle, flachere Hierarchien, in denen neue Ideen schneller analysiert und getestet werden können. Prozesse werden integrierter und dank KI dynamischer. Wichtig ist jedoch auch, dass wir Strukturen schaffen, die klare Prioritäten setzen, so dass wir uns nicht verzetteln. Wir müssen auch bereits sein, etwas zu riskieren, zu iterieren, verbessern und auch loszulassen, wenn es nicht funktioniert.
Sieber: Managementpraktiken, also die Art, wie Sie vorschlagen mit Disruption umzugehen, sind wichtige Bestandteile der Architektur einer Gemeinschaft und damit eines Unternehmens. Wie sieht eine maximal resiliente Unternehmens- und IT-Architektur aus?
Scheidegger: Maximale Resilienz zeichnet sich durch Agilität, Komponierbarkeit und gutes Risikomanagement aus. Agilität lässt uns schnell auf eine neue Situation reagieren, Komponierbarkeit erlaubt uns, das relativ isoliert in einem spezifischen Unternehmensbereich zu tun, und gutes Risikomanagement hilft uns, bei einem «fast pivot» nicht gleich das ganze Unternehmen aufs Spiel zu setzen. Das alles funktioniert viel besser in einer Unternehmenskultur, die von Vertrauen, Neugier und Lernfähigkeit geprägt ist.
“Wichtig ist, dass man das richtige Mindset hat und beginnt, die IT-Umgebung systematisch zu verbessern.„
Hannes Scheidegger
Eine maximal resiliente IT-Architektur hat ähnliche Eigenschaften: In einem flexiblen und komponierbaren IT-Infrastruktur- und Software-Ökosystem lässt es sich viel schneller auf externe Veränderungen reagieren. Das beginnt bei einer automatisierten oder «agentifizierten» Business-Architektur, mit der man Prozesse standardisiert. Dies erfordert aber ein solides Datenmanagement mit wiederholbaren «Nachrichtenstacks» und wiederholbaren Integrationen in einem Data Lake und eine komponierbare Softwareumgebung, die robuster, wartbarer und finanziell besser planbar ist. Dann erfordert es eine IT-Infrastruktur, die horizontale und vertikale Skalierung erlaubt, zum Beispiel durch Containerization und Orchestrierung, und natürlich solide Sicherheitsprotokolle, die interne und externe Schwachstellen reduzieren. Letztendlich gehört weiterhin die traditionelle und gut eingeübte IT-Notfallplanung zum Fundament hoher Resilienz. Diesen Idealzustand zu erreichen, ist ambitiös und dauert seine Zeit. Wichtig ist, dass man das richtige Mindset hat und beginnt, die IT-Umgebung systematisch zu verbessern, wie wir das bei Info-Tech so schön nennen – und selbstverständlich einen Blueprint dafür haben.
Sieber: Wir haben in der Schweiz das Glück immer noch eine grosse wirtschaftliche Kraft zu haben. Was wünschen Sie den Schweizer Unternehmerinnen und Unternehmern?
Scheidegger: Die Schweiz ist eines der innovativsten Länder der Welt. Schweizer Produkte und Dienstleistungen sind global anerkannt. Als Führungsmitglied der Schweizer Handelskammer in Kalifornien erlebe ich dies täglich. Ich wünsche, dass trotz der teils enormen Herausforderungen die Treue zu Qualität bestehen bleibt, und dass Unternehmen die Möglichkeiten neuer KI-Technologien so nutzen können, dass sie ihre Konkurrenzfähigkeit weiter steigern können.
Zur Person
Hannes Scheidegger
Als Chief Global Services Officer ist Hannes Scheidegger bei der Info-Tech Research Group, eines der weltweit führenden IT-Forschungs- und Beratungsunternehmen, verantwortlich für die erfolgreiche Servicebereitstellung an Unternehmen weltweit. Mit über 20 Jahren Erfahrung in der IT-Beratung war er zuvor über 14 Jahre bei Gartner tätig.
Am CNO Panel No. 25 berichtet Hannes Scheidegger über seine persönlichen Schritte zur Resilienz, über die Erkenntnisse der Info-Tech aus der eigenen Forschung zu resilienten Business-IT-Architekturen.