Swiss IT 2020: Sourcing-Strategien 07.05.2020, 10:30 Uhr

«Corona hat uns alle näher rücken lassen»

Die Swiss-IT-Studie 2020 zeigt, dass sich ein Trend in Richtung Outsourcing abzeichnet. Cristina del Valle, Head of Supply Chain von Brugg Lifting, spricht im Interview über die Sourcing-Strategie des Unternehmens.
(Quelle: Unsplash)
Die Betroffenheit und Verunsicherung über die wirtschaftlichen Konsequenzen für Firmen und Einzelpersonen ist wegen Corona gross, sagt Cristina del Valle, Head of Supply Chain von Brugg Lifting. Das Unternehmen aus Birr stellt Aufzugs- und Drahtseile her. Im Interview verrät del Valle, warum Brugg Lifting wenig einkauft und stattdessen auf eine Make-Strategie setzt.Hier ein Interview von unserer Schwester Computerworld.
Computerworld: Wie treffen Sie im Unternehmen Make-or-Buy-Entscheidungen?
Cristina del Valle: Dies ist sehr unterschiedlich. Wo wir wenig Flexibilität benötigen, kaufen wir Software ein und lassen sie wenn möglich an unsere Bedürfnisse anpassen. Wollen wir vollständige Flexibilität, weil Agilität erforderlich ist, programmieren wir die Anwendungen selbst oder arbeiten mit einem langjährigen Programmier-Partner zusammen.
Cristina del Valle ist Head of Supply Chain bei Brugg Lifting
Quelle: Brugg Lifting
CW: Was betreiben und entwickeln Sie selbst? 
Del Valle: Unsere eigene Digitalisierungsanwendung für die Produktverwaltung, PVS, entwickelten wir in Zusammenarbeit mit Kunden und unserem Programmierer. So stellten wir sicher, dass die Benutzerfreundlichkeit und Funktionalität im Vordergrund stehen. Fehlerkorrekturen und Verbesserungen können wir so schnell verfügbar machen, und unsere Kunden müssen nicht lange auf Updates warten. Wir digitalisierten zudem einen wichtigen internen Prozess: die Handhabung von Reparaturen. Was früher stundenlang manuell aufgenommen und ins System eingetippt wurde, kann nun dank einer Excel-VBA-Lösung, Touchscreens und Scanner erfasst werden. Kommen neue Anforderungen dazu oder ändert sich etwas am Prozess, können wir innerhalb von wenigen Tagen oder gar Stunden die nötigen Änderungen vornehmen.
CW: Weshalb machen Sie diese Dinge inhouse?
Del Valle: Wir wollen Produkte anbieten, die auf die Bedürfnisse der Anwender zugeschnitten, modular aufgebaut und mit einer weiten Palette an Konfigurationsmöglichkeiten ausgestattet sind. Ohne jedes Mal kundenspezifische Programmieraufwendungen zu betreiben. Änderungen und Verbesserungen sollen zeitnah erfolgen und schnell in Form von kleinen Updates in die App einfliessen, ohne langwierige Freigabeprozesse und wochenlanges testen.
CW: Was überlassen Sie Externen?
Del Valle: Standardanwendungen, die sich einfach implementieren lassen und nicht Teil unserer Kernprozesse sind, sowie die Programmierung von Schnittstellen für die Datenübertragung.
CW: Warum beziehen Sie diese Dienstleistungen extern?
Del Valle: Als Industrieunternehmen haben wir nicht das spezifische Know-how für die Programmierung. Der Inhalt, die Form und die Funktionalitäten, die umgesetzt werden sollen, geben wir vor, das Technische lassen wir von einem Fachspezialisten umsetzen.
CW: In welchen Bereichen setzen Sie auf Mischformen?
Del Valle: Bei Entwicklungen, die auf Programmiersprachen basieren, welche wir nicht selbst beherrschen. Und bei Anwendungsfällen, die so komplex sind, dass wir sie nicht selbst abbilden können. Sobald eine Entwicklung auch ausserhalb des Unternehmens zur Anwendung kommt, arbeiten wir mit einem Experten auf diesem Gebiet zusammen.

Die Auswirkungen der Corona-Krise

CW: Hat das Coronavirus dazu geführt, dass Sie die Sourcing-Strategie überdenken?
Del Valle: Das Coronavirus hat unsere Sourcing-Strategie im Bereich Materialbeschaffung verändert. Selbst eine Multi-Source-Strategie kann einer solchen Situation nicht standhalten. Im Bereich Software hat sich unser Sourcing-Mix aber bewährt. Wir haben erkannt, dass wir mit unseren Entscheidungen auf dem richtigen Weg sind. Genau in einer solchen Situation benötigen wir die nötige Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, die wir nur bei eigens entwickelten Lösungen oder enger partnerschaftlicher Zusammenarbeit haben.
CW: Was sind die grössten Herausforderungen bei der Zusammenarbeit mit den Sourcing-Partnern?
Del Valle: Kommunikation und Zeitmanagement sind die grössten Herausforderungen. Einerseits müssen die Anforderungen und Erwartungen klar mitgeteilt werden, anderseits muss der Rahmen für die Umsetzung realistisch, aber trotzdem zeitnah sein. Die Kommunikation zwischen Auftraggeber und Programmierer muss in einer gemeinsamen Sprache erfolgen, da sonst Missverständnisse entstehen können. Somit ist gegenseitiges Verständnis und eine klare Definition des Erwarteten äusserst wichtig für den Erfolg.
CW: Inwieweit ist die Zusammenarbeit in Zeiten von Corona schwieriger geworden?
Del Valle: Corona hat uns alle näher rücken lassen. Nicht nur im Unternehmen, sondern auch mit unseren Kunden und Partnern. Alle sind verunsichert und die Informationsflut ist riesig. Die Corona-Welle hat die Nutzung von bis dato wenig genutzten Kommunikationskanälen vorangetrieben, auch bei uns. Was früher ein kurzes Telefonat oder eine E-Mail war, wird heute zum Videoanruf. Die Menschen suchen den Kontakt, Anonymität spielt in diesen Tagen eine nebensächliche Rolle. Die Betroffenheit und Verunsicherung über die wirtschaftlichen Konsequenzen für Unternehmen und Einzelpersonen ist gross, und jeder versucht, seine Geschäftspartner auf dem Laufenden zu halten.
CW: Wie entscheidend ist es, dass die Unternehmenskultur der Partner zusammenpasst?
Del Valle: Für Brugg Lifting ist es von zentraler Bedeutung, mit Partnern zusammen zu arbeiten, die nicht nur auf Qualitätsstandards setzen, sondern auch dynamisch und aufgeschlossen sind. Uns ist der Ausbruch aus dem verstaubten, traditionellen Image in der Branche gelungen. Wir wollen mit der Zeit gehen und zeigen, dass auch in der Baubranche Innovation und Agilität möglich sind. Hierfür brauchen wir die richtigen Partner, die gleich denken, schnell handeln und den Kunden in den Mittelpunkt stellen.
CW: Outsourcing kann zu einem Know-how-Verlust im Unternehmen führen. Was tun Sie dagegen?
Del Valle: Unsere Mitarbeiter werden sorgfältig auf ihre Rolle im Unternehmen vorbereitet und eingeführt. Unser grosser Wissenspool und der offene Umgang miteinander ermöglichen es, sich schnell einzuarbeiten und das Wissen zu teilen. Wir sourcen nur die Umsetzung aus, das Wissen kommt aus dem Unternehmen selbst und somit behalten wir auch die Kontrolle darüber. Für Brugg Lifting spielt die Kommunikation eine zentrale Rolle, die Mitarbeiter werden laufend über den Stand von Entwicklungen und die nächsten Schritte informiert. So kann bei einem kurzfristigen Ausfall auch mal ein anderer einspringen.
CW: Wie gelingt es Ihnen, die Nähe zu den Kunden trotz Outsourcing zu wahren?
Del Valle: Für unsere Kunden bleiben wir der Ansprechpartner, unabhängig davon, wer im Hintergrund involviert ist. Damit stellen wir sicher, dass die Informationen koordiniert und priorisiert fliessen. Unsere Kunden legen Wert darauf, ihre Anliegen bei einer Person platzieren zu können, statt wiederholt mit unterschiedlichen Personen die gleichen Punkte zu besprechen.
CW: Lassen Sie uns einen Blick in die Zukunft werfen: Mehr «Make» oder mehr «Buy»? Wohin geht der Trend?
Del Valle: Auch wenn sich die Standardisierung vielerorts durchsetzt, denke ich, der Trend geht bei uns mehr in Richtung Make. Wir haben erkannt, dass Standardlösungen nach dem Prinzip «One Shoe fits All» nicht unserer Unternehmenskultur entsprechen. Ausserdem stellten wir wiederholt fest, dass wir und unsere Kunden immer mehr Wert legen auf massgeschneiderte Lösungen. So können wir uns durch Flexibilität, Schnelligkeit und Anpassungsfähigkeit differenzieren.
Der Autor
Marcel Urech ist freier IT-Journalist und eidg. dipl. Web Project Manager aus Baden.

Autor(in) Marcel Urech




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