IT-Projekte in der Landwirtschaft 04.05.2021, 09:51 Uhr

Digitale Power beim Bauer

In Sachen Digitalisierung mischt die Schweizer Landwirtschaft an vorderster technologischer Front mit. Ob Cloud Computing, Robotik, Big Data, Smartphone-Apps, Drohnen oder 5G: Kaum einen Hightech-Trend lassen die helvetischen Bäuerinnen und Bauern aus.
Die Idylle lässt es kaum vermuten: Auf Schweizer Höfen ist die Digitalisierung in vollem Gang
(Quelle: Pete Linforth/Pixabay)
Schweizer Bäuerinnen und Bauern werden vom Rest der Bevölkerung oft als bodenständig und damit auch als konservativ und rückständig angesehen. Dieses Image ist aber kreuzfalsch. Vielmehr nehmen helvetische Landwirte sowie zugewandte Betriebe und Organisationen in vielerlei Hinsicht in Sachen Digitalisierung eine Vorreiterrolle ein. Dies beweisen auch die vielen IT-Projekte, welche die Computerworld-Redaktion im Laufe des Jahres gesichtet hat. Dabei ist die IT-Durchdringung in der Agrarwirtschaft schon fast universell: Von der Produktion über die Organisation und Information sowie Natur- und Landschaftsschutz bis hin zur Vermarktung – es gibt kaum einen Teilbereich, der keine IT-Projekte vorzuweisen hat.

Unkrautbekämpfung mit modernsten Mitteln

Tatsächlich bewegt sich die Landwirtschaft an vorderster technologischer Front, wenn es um den wohl ältesten Feind der Bäuerin und des Bauers geht: das Unkraut. So wird derzeit von der Forschungsanstalt Agroscope im Rahmen eines Innosuisse-Projekts zusammen mit vier Partnern, namentlich der Agrargenossenschaft Fenaco, der Ostschweizer Fachhochschule OST, dem Fernmeldeunternehmen Sunrise UPC und dem Telekommunikationsausrüster Huawei, die Unkrautbekämpfung mit einer Kombination von smarten Technologien erprobt, darunter Drohnen, Roboter, Cloud Computing und 5G-Mobilfunk.
Unkrautbekämpfung erfolgt heute effizient und genau dosiert
Quelle: PD Sunrise UPC
Konkret geht es um die sogenannten Blacken, eine Ampferart, die andere Gewächse verdrängt. Die Pflanzen werden per Drohne fotografiert und die Rohdaten über 5G-Datenverbindungen in die Cloud geladen. Dort werden sie in Echtzeit analysiert und identifiziert. Die Ergebnisse werden sodann zurück auf den Acker gespielt, wo ein Traktor oder Landwirtschaftsroboter per GPS zum Unkraut navigiert wird und es bekämpft.
Die Unkrautbekämpfung erfolge durch dieses Vorgehen sehr präzise, heisst es seitens der Projektverantwortlichen, mit wohltuenden Auswirkungen auf die Umwelt. So könne der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln um bis zu 90 Prozent reduziert werden. In einem weiteren Entwicklungsschritt will man sogar ganz auf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln verzichten und dem Unkraut mit Heisswasser den Garaus machen.
«Die Landwirtschaft wird künftig datenbasierter arbeiten», sagt Thomas Anken, Head of Digital Production bei Agroscope, angesichts des Hightech-Vorhabens. Für die zentrale Auswertung dezentral gesammelter Daten sei eine schnelle und hochvolumige Datenübertragung entscheidend, fügt er an. «Hierfür und auch um autonome Geräte zu steuern und zu überwachen, ist eine gute Konnektivität, wie sie nur 5G bietet, essenziell», lautet daher die Folgerung von Anken.

Mit Drohnen gegen den Mähtod

Die Drohne ist nicht nur dazu gut, Unkraut zu erkennen. Das unbemannte Flugobjekt scheint sich langsam, aber sicher im Gerätepark der Landwirte neben Traktor, Güllefass und Mähdrescher einen festen Platz zu erobern. So werden Drohnen bereits erfolgreich für den Naturschutz eingesetzt. Namentlich viele Rehkitze lassen sich von den mit Wärmebildkameras ausgestatteten Drohnen in zu mähenden Wiesen orten.  Die «Bambis» verstecken sich nämlich kurz nach der Geburt im hohen Gras und verharren dort regungslos. Durch dieses «Drückverhalten» entgehen sie meist der Entdeckung durch Feinde, die sie fressen wollen, wie etwa Füchse. Das starre Verbleiben an Ort und Stelle schützt allerdings nicht gegen Mähmaschinen. Die Jagdstatistik vermeldet in der Schweiz jährlich rund 1700 Rehkitze, die so ums Leben kommen.
Dieses Rehkitz ist dank Drohnen­einsatz gerettet
Quelle: Amt für Jagd und Fischerei/Kanton Graubünden
Umso wertvoller sind die Bemühungen, mit modernsten Methoden die Kitze vor dem sicheren Tod zu bewahren. So werden im Kanton Graubünden mit Wärmebildkameras ausgerüstete Drohnen grossflächig zur Rehkitzrettung eingesetzt. Bündner Jäger und Landwirte beteiligen sich gemeinsam an der Aktion.
Mit 19 Drohnen flogen sie im letzten Jahr insgesamt 1121 Einsätze und konnten so 330 neugeborene Rehe finden, bergen und vor dem Mähtod bewahren. Das Programm ist offenbar derart erfolgreich, dass es auch heuer wiederholt und sogar ausgebaut wird. So ist geplant, fünf weitere Drohnen in Betrieb zu nehmen und in weiteren Regionen des Kantons tätig zu werden.
Das Engagement kommt aber nicht nur von Verbänden wie etwa dem Verein «Rehkitzrettung.ch», auch Privatpersonen wollen mit Drohnen Rehkitze vor dem Mähtod bewahren. So haben im Kanton Obwalden Janina Jakober und Sven Schwertfeger ein Crowdfunding-Projekt ins Leben gerufen, um eine Wärmebildkamera sowie Kommunikationsmaterial für die Rehkitzretter anzuschaffen. Die Finanzierung scheint derweil zu klappen, wie ein Blick auf die entsprechende Funding-Seite zeigt.

Effizient besamen

Modernste Technik kommt aber nicht nur im Naturschutz und in der Unkrautbekämpfung zum Einsatz. Informatik durchdringt mittlerweile genauso die meisten Produktionsbereiche der landwirtschaftlichen Betriebe selbst wie deren Zulieferer. Bestes Beispiel für ein IT-Projekt ist dasjenige des in Zollikofen bei Bern beheimateten Unternehmens Swissgenetics, das seine betriebswirtschaftliche Standard-Software (Enterprise Resource Planning; ERP) mit Sage X3 in die Cloud geführt hat und damit die inneren und äusseren Abläufe optimieren konnte.
Swissgenetics produziert jährlich rund 2,3 Millionen Samendosen für die künstliche Besamung von Kühen und Rindern. Es hält 400 Stiere unterschiedlichster Rassen in eigenen Betrieben und exportiert in 55 Länder. Allein in der Schweiz setzt die Firma jährlich mehr als 830 000 Samendosen ab. Über ein Distributionsnetz mit 270 eigenen Besamungstechnikern und 130 selbstständigen Tierärzten führt das Unternehmen jährlich ca. 735 000 Besamungen in der Schweiz durch.
Roboter sind in der Landwirtschaft die neuen Knechte
Quelle: PD Sunrise UPC
Der effiziente Datenfluss zwischen Innen- und Aussendienst ist bei Swissgenetics ebenso wichtig wie die professionellen Lager- und Logistikprozesse. Der Aussendienst der Firma arbeitet bereits seit einiger Zeit mit mobilen Geräten, um Verkäufe am Ort des Geschehens zu registrieren. Seit 1999 setzt Swissgenetics ein ERP-System von Sage ein. Nun ist die Firma auf das Cloud-basierte Sage X3 umgestiegen. Gerade bei der Verbindung nach aussen kommen die Vorteile einer Cloud-basierten ERP-Lösung zum Tragen. «Früher mussten wir viele Prozesse im Auftragsbereich individualisieren, sodass wir bei jedem Software-Update mit grossen Aufwänden konfrontiert waren», kommentiert Markus Zogg, Bereichsleiter Support bei Swissgenetics. Auch das Bestellwesen wurde optimiert. «Der Aussendienstmitarbeiter bestellt in der Individual-Software via Tablet Nachschub, der alle 14 Tage ausgeliefert wird. Über die Schnittstelle werden alle Bestellungen in Sage X3 eingelesen, sodass die Mitarbeiter im Lager direkt die Disposition auslösen können», erklärt er. Ähnlich verhält es sich bei den Verkäufen von Dienstleistungen und Produkten. Bei jedem Kundenbesuch werden neben spezifischen Zuchtinformationen auch die Verkäufe wie Anfahrtspauschale, Hoflieferprodukte, Samendosen oder Samenübertragung in der Individual-Software erfasst und automatisiert in die Zentrale und somit an Sage X3 übermittelt.
Auch auf der Seite der Landwirte ist derweil die Digitalisierung in Sachen Besamung ein Thema. So wurde 2020 die von Swissgenetics entwickelte App SmartCow entsprechend erweitert. Neu können mit der in der Schweizer Landwirtschaft beliebten App Besamungen sowie Belegungen erfasst und direkt an die Zuchtorganisationen übermittelt werden. Konkret werden nun alle Besamungen und Belegungen sowie alle Trächtigkeitsuntersuchungen (unter anderem Fertalys), die bei den Zuchtverbänden registriert sind, im Brunstkalender berücksichtigt. Damit entfalle die lästige Mehrfacherfassung von Daten in SmartCow und bei der Zuchtorganisation, heisst es in der entsprechenden Mitteilung von «Mutterkuh Schweiz».

Big Data für Kleintiere

Daten halten derweil Einzug in allen landwirtschaftlichen Bereichen. Kaum ein Produkt und Lebewesen auf den Höfen, das nicht registriert wird. Seit 2020 gilt schweizweit eine Meldepflicht für sogenannte Kleinwiederkäuer, vulgo Schafe und Ziegen. Dies dient der Bekämpfung von Tierseuchen und der Rückverfolgbarkeit von Tieren sowie tierischen Lebensmitteln. Nach Besitzern von Hausrindern und Pferden melden nun auch Halter von Schafen und Ziegen Geburten und Bewegungen auf Stufe Einzeltier an die Tierverkehrsdatenbank (TVD).
Dies erfolgt offenbar sehr gewissenhaft, was ein Blick auf die Ergebnisse auf der Plattform «Tierstatistik» zeigt. Erstmals lässt sich hier der Bestand der Kleintiere in der Schweiz analysieren. So zeigt sich etwa, dass der Kanton Bern vor Graubünden, dem Wallis und St. Gallen am meisten Schafe hält. Bei den Ziegen führt wiederum der Kanton Bern die Bestände an, gefolgt von Graubünden, St. Gallen und dem Tessin. Auch welche Tierrassen sich besonderer Beliebtheit erfreuen, lässt sich der Datenbank entnehmen. Bei den Schafen dominieren demnach das Weisse Alpenschaf, das Schwarzbraune Bergschaf, das Braunköpfige Fleischschaf sowie das Walliser Schwarznasenschaf die Bestände. Bei den Ziegen dominieren die Gämsfarbige Gebirgsziege, die Saanenziege sowie die Bündner Strahlenziege.
Viele Daten, so zur Tierhaltung, werden heute per Smartphone-App erfasst
Quelle: Smartcow
Die Statistiken dürften künftig noch genauer werden. Seit dem 1. Januar 2021 müssen Schaf- und Ziegenhalter nicht nur ihre Tiere registrieren und die Tiergeschichte von der Geburt bis zur Schlachtung vollständig erfassen. Sondern ab 2021 haben nicht korrekt nachgeführte Tierdaten auch finanzielle Abzüge zur Folge.
Nicht nur die konsequente Erfassung der Tiere, sondern auch Informationen zu deren korrekten Haltung sollen dazu beitragen, dass der Viehbestand auf Schweizer Höfen gesund ist und bleibt. So hat die neue interaktive Webplattform www.gesunde-nutztiere.ch, die von Vetsuisse Zürich zusammen mit den Tiergesundheitsdiensten erstellt wurde, zum Ziel, Tierhalter aufzuklären und damit die Tiergesundheit zu stärken sowie sich vor Erkrankungen zu schützen. Durch über eine E-Learning-Plattform vermitteltes Wissen über Biosicherheitsmassnahmen sollen so die Gesundheit von Tier und Mensch geschützt und der Antibiotikaverbrauch verringert werden. Die Lancierung der neuen Website sei auch mit Blick auf die laufende Revision der Tierseuchenverordnung (TSV) erfolgt, heisst es in einer Mitteilung des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV.

Der Hofladen wird zum E-Commerce-Erlebnis

Nicht zuletzt bei der Vermarktung ihrer Produkte und Erzeugnisse setzen Landwirte auf modernste Technologien. Das beginnt bei Tierauktionen, die mittlerweile auch online durchgeführt werden, wie etwa 2020 die Auktion von Freibergerfohlen über die Nationale Elitefohlenauktion. Das geht über diverse Online-Hofläden wie locishop.com, vomhof.ch, buurontour.ch und farmy.ch, die ständig erweitert und in Sachen Funktionalität ausgebaut werden, sowie über die Online-Vermarktung von Spezialitäten, wie sie die Käserei Muolen im neuen Webshop anbietet, bis hin zur virtuellen Weindegustation, welche die Winzerfamilie Mounir und Betreiberin des Weinguts «Cave du Rhodan» aus Salgesch im Kanton Wallis durchgeführt hat.
In der Region Bern stehen mittlerweile acht solcher Rüedu-Container
Quelle: Rüedu
Die digitale Vermarktung gipfelt derweil in der Verwirklichung von Selfservice-Hofladen-Containern in der Region Bern. Das von Tom Winter und Jürg Burri unter der Bezeichnung «Rüedu» entwickelte Konzept lehrt autonomen und kassenlosen 24-Stunden-Selbstbedienungsladenkonzepten wie Amazon Go, Valoras «Avec Box» und «Avec X» sowie dem «Voi Cube» der Migros das Fürchten. In den 18 Quadratmeter grossen «Rüedu»-Containern können vornehmlich Städter sowohl Milchprodukte und saisonales Obst und Gemüse direkt ab Hofproduktion als auch begehrte Lebensmittel des täglichen Bedarfs wie Zitronen und Bananen erstehen. Zugang zu den immer geöffneten Läden erhalten die Kunden über eine Smartphone-App. Die Ware nehmen sie sich selbst, rechnen diese über ein Self-Checkout-System ab und bezahlen mit Kreditkarte oder per Twint. Wie bei den meisten «analogen» Hofläden, bestehend aus einem Kühlschrank mit integriertem «Kässeli», funktioniert auch die Hightech-Version in Bern und Umgebung auf Vertrauensbasis, die sich bislang bewährt habe, wie die Betreiber versichern.

Hacken für die Landwirtschaft

Die Digitalisierung hat also die Landwirtschaft erfasst. Dass die Entwicklung weitergeht und neue Ideen verwirklicht werden können, daran wird gearbeitet. So werden regelrechte Hackathons für die Landwirtschaft organisiert. Im September 2020 fanden etwa im Landwirtschaftlichen Zentrum Liebegg in Gränichen im Kanton Aargau die «Open Farming Hackdays» statt. Rund 70 Teilnehmer mit unterschiedlichen Fähigkeiten und aus unterschiedlichen Branchen arbeiteten zusammen an neuen digitalen Lösungen für die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft. Ziel der Veranstaltung war es, die Vorteile der Digitalisierung und moderner Technologien zu nutzen und in Innovationen für die landwirtschaftliche Produktion umzusetzen.
Hier wird für die digitale Landwirtschaft gehackt
Quelle: DFR/Kanton Aargau
Mit welchen Herausforderungen die Landwirtschaft aktuell konfrontiert ist und welche Stossrichtungen und Projekte in Zukunft wichtig werden könnten, zeigten die 18 Challenges, die bereits im Vorfeld des Hackathons eingegeben wurden. So wurde beispielsweise nach Lösungen gesucht für einen internetbasierten Marktplatz für Hof- und Recyclingdünger oder für eine effiziente Verknüpfung der Konsumenten mit den Landwirten mittels Blockchain-basiertem System. Eine andere Herausforderung war die Schaffung eines Früherkennungssystems, um Krankheiten bei Milchkühen zu diagnostizieren und so den Medikamenten-Einsatz zu reduzieren. Die gemischten Teams – bestehend aus Landwirten, Data-Analysten, Studierenden, Unternehmern sowie Menschen aus Wissenschaft und Praxis – hatten sodann 32 Stunden Zeit, um jeweils einen Prototyp oder Lösungsansatz zu erarbeiten.
«Die Resultate zeigen, dass der Austausch darüber, wie die Vorteile der Digitalisierung und moderner Technologien in der Landwirtschaft genutzt werden können, nicht nur für den Aargau, sondern für die gesamte Schweiz von grossem Wert ist», kommentierte denn auch der Aargauer Regierungsrat Markus Dieth die Ergebnisse des Hackathons nach der Schlusspräsentation.




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