Gastkommentar 15.02.2022, 08:00 Uhr

Warum Augmented Reality im Handel noch ein Nischendasein fristet

Im E-Commerce gibt es zwar erste Ansätze, doch im Grunde ist Augmented Reality noch immer eine Nischenerscheinung. Nur wenige Hersteller und Händler nutzen bisher die Chancen, die Augmented Reality ihnen und ihren Kunden bietet, meint Ulrich Clemens von Scanblue.
Ulrich Clemens, Chief Marketing Officer bei Scanblue
(Quelle: Scanblue)
Von Ulrich Clemens, Chief Marketing Officer bei Scanblue
Die grossen Errungenschaften der Digitalisierung im Bereich Augmented Reality sind den Deutschen höchstens im Sektor Gaming mit dem Spiel "Pokémon Go" ein Begriff.  Im Gaming zielen Entwickler auf den Fun-factor; dass Augmented Reality aber auch im Alltag viele Mehrwerte bieten kann, erkennen auf dem deutschen Markt erst wenige. Besonders der Onlinehandel könnte davon profitieren.
Aber die Vorteile von AR-Anwendungen konkret zu nutzen, ist bei vielen Händlern und Verbrauchern noch nicht angekommen. Dabei besitzen schon jetzt weltweit über 1,5 Milliarden Smartphones die Fähigkeit, Augmented Reality darzustellen. Erkannt haben das andere, zum Beispiel das Unternehmen Snap Inc., die Firma hinter der Snapchat-App. Mit der im letzten Jahr vorgestellten AR-Brille "Spectacles 4" hat Snap Inc. viel Staub aufgewirbelt und die Grundlage für innovative neue Einsatzmöglichkeiten geschaffen. Ein wenig hat das Unternehmen damit sogar Apple die Schau gestohlen, wo eine solche Brille erst demnächst erwartet wird. Aber: alles leider nicht hier, sondern in Übersee.

Augmented Reality? Leider nicht in Deutschland

Augmented Reality kommt vor allem als Anwendung für die breite Masse in Deutschland nicht so recht an. Im Bereich E-Commerce gibt es zwar erste Ansätze, doch im Grunde ist Augmented Reality noch immer eine Nischenerscheinung. Nur wenige Hersteller und Händler nutzen bisher die Chancen, die Augmented Reality ihnen und ihren Kunden bietet. Dabei lässt sich Online-Shopping um ein Vielfaches vereinfachen und verbessern: Möbelstücke wie ein Sofa zum Beispiel können vor der Bestellung zunächst virtuell im Wohnzimmer des Kunden platziert werden - und das mit einer erstaunlich realistischen Darstellung.
Der Kunde kann so eine fundierte Kaufentscheidung treffen und muss den Spagat zwischen Produktfoto im Internet und seinem Wohnzimmer nicht mehr als blosses Gedankenspiel und allein vollführen. Online-Shopping wird so erfahrbarer, tatsächlich erlebbar. Dank Augmented Reality wissen Nutzer schon vor der Lieferung, wie sich die bestellte Ware in ihr Zuhause einfügt. Auf Kundenseite steigt die Zufriedenheit - schon aufgrund des besonderen Service, den Händler bieten. Zusätzlich lässt sich auf diese Weise die Zahl von Retouren reduzieren - ebenfalls ein Vorteil, auch für Händler und Umwelt.
AR-Brillen wie die von Snap werden die Entwicklung in diesem Bereich befeuern, da sie die Wahrnehmung von virtuellen Objekten in der realen Welt ohne den limitierenden Blick auf den kleinen Smartphone- oder Tablet-Bildschirm ermöglichen. Spätestens dann wird wichtig, dass virtuelle Objekte ortsfest sein können: Das virtuelle Sofa ist für jeden im Haushalt an der gleichen Stelle sichtbar. Wird es verrückt, verrückt es sich für alle Betrachter. Auch werden virtuelle Objekte in Zukunft bewegbar sein, Nutzer werden sie in die Hand nehmen und drehen können.

Gefangen im Digitalisierungs-Teufelskreis

Doch für den deutschen Handel spielt Augmented Reality - aller bereits jetzt zur Verfügung stehenden technischen Mittel zum Trotz - noch keine tragende Rolle. Und so wissen auch die Verbraucher auf dem deutschen Markt nicht um die Möglichkeiten, die ihnen eigentlich zur Verfügung stehen. Ein Teufelskreis: Was Kunden nicht kennen, das fordern sie nicht ein. Und ist der Druck von Kundenseite nicht da, sehen sich Händler nicht in der Pflicht, das Potenzial von Augmented Reality auszuschöpfen. Nur vereinzelt kommt die Technologie im E-Commerce zur Anwendung, für Konkurrenzdruck reicht das aber nicht. Die Masse zieht daher nicht nach.
Und so steuern die Händler auf dem deutschen Markt auf ein ähnliches Szenario zu, wie bei Elektromobilität oder Bildungssystem: Andere Länder und Unternehmen, die digital schon vor der Pandemie weit vorangeschritten waren, kamen in den Bereichen Homeoffice und Homeschooling gut durch die Krise.
Nutzt der Handel nicht schon jetzt die Chancen, die sich ihm bieten, sondern wartet ab, gucken auch deutsche Händler in absehbarer Zeit in die Röhre. Die Konkurrenz im Ausland hat Augmented Reality im E-Commerce dann bereits routiniert im Repertoire - und warum sollten deutsche Kunden ihre Waren nicht im Ausland bestellen?

Digitalisierung vorantreiben - was ist zu tun?

Schuld an dem drohenden Fiasko ist eine Gemengelage einiger Sachverhalte: Händlern fehlt der Mut, etwas Neues zu wagen. Das ist umso unverständlicher, da die Einstiegshürden so gering sind, wie selten. Die Politik setzt nach wie vor halbherzig auf Digitalisierung - schön zu sehen am Einsatz der Faxgeräte in den Gesundheitsämtern. Würde sie mutig voranschreiten, so schüfe sie Anreize für alle Arten der Digitalisierung; und selbstverständlich mit allergrösstem Nachdruck die digitale Infrastruktur, ohne die es keinesfalls geht. Last but not least fehlt es an Risikokapital für Start-ups, die üblicherweise ganz vorn dabei sind, wenn es um neue Technologien geht.
Und so bleiben dann deutsche Händler und Kunden im Teufelskreis gefangen - oder schlimmer noch: Den Händlern hierzulande laufen die Kunden weg - es sei denn, die Politik treibt die Digitalisierung endlich und wirklich voran. Nötig sind dafür der Wille, die gesellschaftliche Debatte und die Unterstützung vor allem von Start-ups. Und natürlich viel Mut zur Veränderung bei allen Akteuren.




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