Internetkonferenz 07.05.2015, 10:35 Uhr

re:publica 2015: "Finding Europe"

Totalüberwachung und digitale Selbstverteidigung - aber auch Ausblicke auf das Internet der Dinge und die Nutzung von Wearables: Das waren die Themen auf der Digitalkonferenz re:publica in Berlin.
(Quelle: re:publica/Screenshot)
Von Andreas Schauer
Die re:publica ist in meinem Kalender eine Pflichtveranstaltung, weil hier alle Themen der digitalen Gesellschaft diskutiert werden, die unsere Arbeit beeinflussen: das sind natürlich neue Ideen und Innovationen, aber auch Politik, Kultur und Bildung. Seit drei Jahren bin ich dabei und von Jahr zu Jahr wird es grösser: drei Tage, 6.000 Teilnehmer, mehr als 800 Sprecher auf 17 Bühnen - im 9. Jahr zählt die Internetkonferenz bereits zu den grössten in Europa. 
Das diesjährige Motto deutet mit "Finding Europe" auch den erweiterten Kontext an, um den es den Initiatoren Tanja und Johnny Häussler, Markus Beckedahl und Andreas Gebhard geht: eine Standortbestimmung der ehemaligen Netzgemeinde über die Grenzen Deutschlands hinaus. Das Urteil "im Jahr Zwei nach Snowden" fällt ernüchternd aus: die Themen Totalüberwachung, Vorratsdatenspeicherung und Netzneutralität sind aktueller denn je. Oder, um mit Beckedahl zu sprechen: "Und täglich grüsst das Murmeltier".
Gleich zu Beginn also scharfe Töne und das ist gut so. Wer wird in den nächsten drei Tagen die Netzgemeinde durchrütteln? Sascha Lobo jedenfalls nicht. Der verzichtet in diesem Jahr auf seine Rede zur Nation. Günther Oettinger, unser EU-Kommissar für digitale Wirtschaft, wird im Laufe der Veranstaltung noch oft erwähnt, allerdings nicht als Helfer sondern hilflos. Und einstige Hoffnungsträger wie Ex-Pirat Christoph Lauer verdingen sich inzwischen lieber bei Springer.

Wie geht es weiter, Netzgemeinde?

Wie geht es also weiter, Netzgemeinde? Der Internet-Aktivist Ethan Zuckerman legt in seiner Keynote nach: Unser System sei so kaputt, dass wir ein neues Verhältnis zur Politik finden müssen. Die Beteiligung an Protesten sei zwar gross, die Wirkung verpuffe aber umso schneller. Er empfiehlt neue soziale Protestbewegungen und die Nutzung anonymer und verschlüsselter Kommunikation. Misstrauen gegenüber Institutionen sei zum Standard geworden, beklagt er. Darum geht es jetzt darum, selbst aktiv zu werden und empfiehlt den Weg der kleinen Schritte, mit eigenen Organisationen, wie beispielsweise "Monithons", eine unabhängig entwickelte Initiative die von der EU geförderte Projekte in Italien dokumentieren oder Promisetracker in Brasilien, ein Tool, das überprüft ob Politiker ihre Wahlversprechen auch tatsächlich einhalten.
Er ist nicht der Einzige, der Veränderung aus dem Kleinen heraus vorschlägt. Tanja und Johnny Häusler berichten von ihren zahllosen Diskussionen in Schulen zur digitalen Veränderung als einem mühsamen Gefecht. Als Ergebnis entscheiden sie sich für #butterbeidiefische, nehmen die Sache selbst in die Hand und verkünden mit der Tincon die erste Teenager Internetkonferenz 2016 in Berlin.
Auch wenn viele Titel zunächst nach Frust klingen ist bei fast allen Vorträgen, die ich in den folgenden zwei Tagen höre, ein positiver Realismus zu hören. Sogar Markus Beckedahl gibt sein Bestes, Themen wie Open Government oder Netzneutralität ihre guten Seiten abzugewinnen, wobei ihm das nicht immer leicht fällt: Breitbandoffensive? Deutschland ist auf Platz 29 der Länder mit schnellem Internetzugang, da ist noch Luft nach oben. Und zu Open Source gehören eben auch kommerzielle Tools wie Android.
Wie weit die Kurve zwischen technologischer Entwicklung und Politik auseinander geht wird auch deutlich, wenn Christian Feld, ARD-Korrespondent auf dem "Planeten Brüssel" einen Einblick in die Führungsriege von Europas Digitalpolitik und die endlosen Gesetzgebungsverfahren gibt.
Aus der Netzgemeinde ist inzwischen die Mehrheit der Bevölkerung geworden und diese wird auf der re:publica aufgefordert, selbst aktiv zu werden. Auch über digitale Selbstverteidigung, sprich den Einsatz von Verschlüsselung von Kommunikation. Hier gibt es in der breiten Bevölkerung noch viel Nachholbedarf.

Internet der Daten

Aral Balkan geht in seiner Argumentation deutlich weiter. Für ihn ist das Web das Problem und das Internet of Things ein Internet der Daten. Seine Frage an Start-ups ist stets: "What is your business model?". Wenn es einzig um den Verkauf von Daten geht, ist es für ihn der falsche Weg. Sein Ansatz eines sozialen Netzwerks, das den Usern gehört, ist zwar kein neuer, aber nach wie vor erstrebenswert. Schade, dass seinen Auftritt weitaus weniger Zuschauer verfolgen als die Werbeveranstaltung von Reed Hastings, dem CEO von Netflix zuvor. 
Bei Balkan und anderen auf der re:publica geht es um einen entscheidenden Punkt: offene und ehrliche Kommunikation über das Angebot. Was heisst offen? Ist damit ein offenes Feld gemeint oder ein offenes Tor, das jederzeit Konsumenten wieder aussperren kann? 
Gemma Galdon Clavell hat in ihrem Vortrag "Business of privacy by disaster" sehr gute Beispiele parat, wie mangelnde Aufklärung beim Einsatz von vernetzten Messgeräten im Haushalt daneben gehen kann. Im Hinblick auf die aktuelle Entwicklung der Internet of Things sehr spannend.  



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